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Sensitivität

Betrachtet man zunächst die gewöhnliche Standardabweichung, so stellt man fest, daß sie nichts darüber aussagt, welche Strukturen die Varianz der Zeitreihe hat. Aus der gewöhnlichen Statistik kennt man den Variationskoeffizienten $v$, der als das Verhältnis der Standardabweichung $s$ zum Mittelwert $\bar{x}$ definiert ist. Er ist also ein Maß für die Stärke der Schwankungen im Verhältnis zum Mittelwert. Dies ist allerdings ein Maß für die gesamte Reihe und somit ein globales Maß. In der Dendrochronologie wird sehr ähnlich dazu ein lokales Maß der relativen Variabilität definiert, das jährliche Sensitivität $S_{i+1}$ des Jahres $i+1$ heißt. Somit kann jeder Zeitreihe eine Reihe der jährlichen Sensitivität zugeordnet werden. Sie ist definiert, als die Differenz zwischen dem Wert des $i+1$-ten Jahres zu dem des Vorjahres geteilt durch den Mittelwert der beiden Jahre. Daraus ergibt sich für die jährliche Sensitivität:
\begin{displaymath}
S_{i+1}=2\,\frac{x_{i+1}-x_{i}}{x_{i+1}+x_{i}}
\end{displaymath} (6.1)

Weiter kann man daraus zu einem globalen Maß der Zeitreihe gelangen, indem man das arithmetische Mittel der Reihe $S_{i}$ betrachtet. Dies führt zur sogenannten mittleren Sensitivität:
\begin{displaymath}
\bar{S}=\frac{\sum_{i=2}^{n} \vert S_{i}\vert}{n-1}
\end{displaymath} (6.2)

wobei $n$ die Länge der Originalreihe (nicht der um $1$ kürzeren Reihe der jährlichen Sensitivität) ist. Was unterscheidet nun die mittlere Sensitivität vom Variationskoeffizienten? Zunächst sind beide ein Maß das Variation im Verhältnis zum Mittel ausdrückt. Der Unterschied liegt nur darin, daß die mittlere Sensitivität um so größer wird, je stärker die Gesamtvariabilitat durch die Jahr-zu-Jahr-Variabilität bestimmt ist. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen. Nehmen wir eine Zeitreihe $a$ bestehend aus $n=10$ Werten, von denen die ersten fünf den Wert neun haben und die zweiten fünf den Wert elf. Dann ist $\bar{a}=10$ und die Standardabweichung

\begin{displaymath}
s_{a}=\frac{1}{n}\sum_{i=1}^{n}(a_{i}-\bar{a})^{2}
\end{displaymath}

führt zu einem Wert von $s_{a}=1$. Nehmen wir nun eine andere Zeitreihe $b$ mit $n=10$ Werten, wobei die Zahlen neun und elf immer alternierend auftreten sollen. Diese Reihe hat den Mittelwert $\bar{b}=10$ und die Standardabweichung $s_{b}=1$. Wie wir also sehen, haben beide Reihen den gleichen Mittelwert und die gleiche Standardabweichung, und demnach auch einen gleichen Variationskoeffizient. Wie sieht es nun mit den Sensitivitäten der Reihen aus? Aus Gleichung B.1 folgt für die Reihen der jährlichen Sensitivität:
$\displaystyle S_{a,i}$ $\textstyle =$ $\displaystyle \{ 0;0;0;0;.4;0;0;0;0\}$ (6.3)
$\displaystyle S_{b,i}$ $\textstyle =$ $\displaystyle \{ 0.4;-0.4;0.4;-0.4;0.4;-0.4;0.4;-0.4;0.4;\}.$ (6.4)

Das ergibt folgende mittleren Sensitivitäten:
$\displaystyle \bar{S_{a}}$ $\textstyle =$ $\displaystyle .4$ (6.5)
$\displaystyle \bar{S_{b}}$ $\textstyle =$ $\displaystyle 3.6$ (6.6)

Das Beispiel zeigt deutlich, daß die Sensitivität ein Maß für die Jahr-zu-Jahr-Variabilität ist, die ja in der zweiten Reihe (alternierende Werte) besonders hoch, in der ersten hingegen besonders niedrig ist. Wie der Variationskoeffizient ist aber auch die Sensitivität nicht invariant gegenüber Mittelwerttransformationen. Während also die Standaradabweichung (und im allgemeinen auch alle anderen grundlegenden statistischen Variationsmaße) nicht vom Mittlewert abhängen, gilt dies für den Variationskoeffizient und die Sensitivität nicht. Hat eine Zeitreihe den Mittelwert null, so ist kein Variationskoeffizient definierbar. Für die jährliche Sensitivität gilt diese Eigenschaft schon lokal, d.h. es darf in der Zeitreihe nirgends $x_{i+1}+x_{i}=0$ auftreten. Hätte man obiges Beispiel mit Reihen der Werte $-1$ und $+1$ anstatt $9$ und $11$ versucht, so wäre man schnell auf nicht hebbare Singularitäten gestoßen. Daraus folgt, daß man Sensitivitäten keinesfalls für normierte Reihen (d.h. Mittelwert $\bar{x}=0$ und Standardabweichung $s_{x}=1$) berechnen darf. Die Berechnung der Sensitivität ist günstig zum Vergleich von Baumringdaten, da diese positiv definit sind. Man kann beim Vergleich verschiedener Datenreihen mit etwa gleichem Mittelwert, oder beim Vergleich von auf gleichen Mittelwert gebrachten Datenreihen die Sensitivität nutzen, da sie dann aussagt, welche Reihe größere Jahr-zu-Jahr-Schwankungen aufweist.
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ich 2000-01-24