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Die Strukturfunktion

Weder das Spektrum, noch die Autokorrelationsfunktion sind gute Schätzer. Einerseits wird die Autokorrelationsfunktion i.a. relativ schnell unsignifikant klein, andererseits ist das Spektrum kein erwartungstreuer, konsistenter Schätzer. Darüberhinaus muß für die Schätzung dieser Größen Stationarität des zugrundeliegenden Prozesses (d.h. $\vert d\vert<.5$) vorausgesetzt werden. Nun kann man nach der quadratisch gemittelten Differenz zweier Werte aus einer Zeitreihe $Y_{n}$ fragen, für den Fall, daß sie $j$ Zeitschritte auseinanderliegen. Diese Funktion
\begin{displaymath}
D_{j}^{2}(Y)=\frac{1}{N-j} \,\sum\limits_{k=1}^{N-j} \left(
Y_{k}-Y_{k+j}\right)^{2}
\end{displaymath} (30)

heißt quadratische Strukturfunktion der Funktion $Y$. Strukturfunktionen werden schon lange in der Turbulenztheorie eingesetzt (s. [17]), wo gezeigt werden konnte, daß die Strukturfunktion sowohl für die Temperatur, als auch für Feuchte und Windgeschwindigkeit im Inertialbereich dem räumlichen Skalengesetz $D_{r}^{2}\sim r^{2/3}$ gehorcht. Die (quadratische) Strukturfunktion hat in der Literatur viele Namen, von denen Fluktuationen, mittlere quadratische Verschiebung und mittlere quadratische Abweichung nur eine kleine Auswahl darstellen. Für einen autokovarianzstationären Prozeß mit kurzem oder keinem Gedächtnis konvergiert die Strukturfunktion bei zunehmendem $j$ gegen $2 \sigma_{Y}^{2}$, was man aus Gleichung (30) leicht sieht:
\begin{displaymath}
\begin{array}{rcl}
D_{j}^{2}(Y) & = &\frac{1}{N-j} \,\sum\...
...{j\to\infty} D_{j}^{2} & = & 2 \sigma_{Y}^{2}.
\end{array}
\end{displaymath} (31)

Dann enthält die Strukturfunktion keine neue Information. Für Zeitreihen aus Prozessen ohne Gedächtnis ist $D_{j}^{2}=
2 \sigma_{Y}^{2}$ unabhängig von $j$. Für Zeitreihen aus stationären Prozessen mit kurzem Gedächtnis und für Zeitreihen aus stationären Prozessen mit langem Gedächtnis ($d<.5$) konvergiert $D_{j}^{2}$ gegen $2 \sigma_{Y}^{2}$. Die beiden letztgenannten Prozesse können also von der Strukturfunktion nicht unterschieden werden. Für Prozesse mit langem Gedächtnis geht hingegen $\sum\limits_{k=1}^{N-j} Y_{k}\,Y_{k+j}$ nicht unbedingt schnell gegen null. Darüberhinaus kann für instationäre Prozesse $\sum\limits_{k=1}^{N-j} Y_{k}^{2}$ nicht gleich $\sum\limits_{k=1}^{N-j} Y_{k+j}^{2}$ gesetzt werden. Aus der Tatsache, daß die Strukturfunktion dann immer weiter divergiert, kann man den instationären Prozeß mit langem Gedächtnis (d.h. $d\ge .5$) erkennen. Dies ist eine für die Zeitreihenanalyse wichtige Erkenntnis. Für die Brownsche Diffusion ist der Erwartungswert für $D_{j}^{2}$ durch die Einstein-Relation [9]
\begin{displaymath}
D_{j,\mbox{Brown}}^{2}= 2\,D\,j
\end{displaymath} (32)

gegeben.3 Dabei ist $D$ eine Diffussionskonstante. Wir können demnach für ein Brownsches Rauschen schreiben
\begin{displaymath}
D_{j,\mbox{Brown}} \sim j^{.5}.
\end{displaymath} (33)

Für andere Prozesse mit langem Gedächtnis kann man nun die Einstein-Relation verallgemeinern, indem man
\begin{displaymath}
D_{j} \sim j^{H}
\end{displaymath} (34)

ansetzt. Begründen kann man dies im Rahmen der Diffussion auf fraktalen Gittern der Perkolationstheorie [15][3]. Für den Exponenten wurde hier bewußt der Buchstabe $H$ gewählt, da dieses $H$ identisch mit dem $H$ aus Abschnitt 5.3 ist (s. [10]). Ein Brownsches Rauschen erkennt man dann experimentell daran, daß $H\approx.5$ beobachtet wird. Für rosa Rauschen ist $H<.5$ und für schwarzes Rauschen gilt $H>.5$. Für jede zu analysierende Zeitreihe kann nach Gleichung (34) ein $H$ berechnet werden. Aber nur falls $H$ signifikant größer ist als 0 trägt es Information. Wegen Gleichung (26) kann mit Hilfe der Strukturfunktion nur über fraktionell integrierte Prozesse mit $d>.5$ etwas ausgesagt werden. Um auch Prozesse mit langem Gedächtnis und $0<d<.5$ analysieren zu können, integriert man die zu untersuchende Zeitreihe, bevor man dann die Strukturfunktion der integrierten Reihe weiter untersucht. Man führt also die Operation
\begin{displaymath}
(1-B)\,Y^{*}_{n} = Y_{n}
\end{displaymath} (35)

d.h.
\begin{displaymath}
Y^{*}_{n}=Y^{*}_{n-1} + Y_{n} = \sum\limits_{t=1}^{n} Y_{t}
\end{displaymath} (36)

durch, was gleichbedeutend damit ist, daß man einen eindimensionalen Zufallswanderer die Werte der Zeitreihe $Y_{t}$ als Zufallsrauschen übergibt.4 Für die integrierte Reihe folgt dann ein Integrationsgrad $d_{I}$ von
\begin{displaymath}
d_{I}=d+1
\end{displaymath} (37)

und demnach auch
\begin{displaymath}
H_{I}=d+.5,\mbox{ f\uml {u}r } 0<d<.5.
\end{displaymath} (38)

Die Strukturfunktion der integrierten Zeitreihe ist demnach für $H_{I}>.5$ ein sinnvolles Maß für $d$. Eine Interpretation der Strukturfunktion der integrierten Zeitreihe folgt, indem man die Summen der Integration in die Strukturfunktion einsetzt. Man erhält dann aus Gleichung (36) und (30)
\begin{displaymath}
D_{j}^{2}(Y^{*})=\frac{1}{N-j} \,\sum\limits_{k=1}^{N-j} \l...
...}^{N-j} \left(
\sum\limits_{t=k+1}^{k+j} Y_{t}\right)^{2}.
\end{displaymath} (39)

Man kann dann die integrierte Funktion $Y^{*}_{n}$ für jeden Startwert $k$ und jede Integrationslänge $j$ definieren und damit schreiben
\begin{displaymath}
D_{j}^{2}(Y^{*}) = \frac{1}{N-j} \,\sum\limits_{k=1}^{N-j} \left(
Y^{*}_{k,j}\right)^{2}.
\end{displaymath} (40)

Damit ist $D_{j}^{2}(Y^{*})$ nichts anderes als die Varianz der Realisationen der Integrationen der Länge $j$. Für die integrierte Zeitreihe kann man nun wieder nach einem Skalengesetz der Art
\begin{displaymath}
D_{j}(Y^{*}) = j^{H_{I}}
\end{displaymath} (41)

mit dem Exponenten $H_{I}$ suchen. Als Beispiel für die Anwendung der Strukturfunktion der integrierten Reihe kann man für das integrierte weiße Rauschen (also die eindimensionale Brownsche Bewegung) leicht folgendes ausrechnen:
\begin{displaymath}
D_{n}^{2}(Y^{*})=\mbox{var}\left(\sum\limits_{t=1}^{n}Y_{t}...
...ht)
=\sum\limits_{t=1}^{n}\sigma_{Y}^{2} = n \sigma_{Y}^{2}.
\end{displaymath} (42)

Man sieht das bekannte Ergebnis5,
\begin{displaymath}
D_{j,\mbox{Brown}} = \sqrt{j}\,\sigma_{Y},
\end{displaymath} (43)

daß die Standardabweichung bei der Brownschen Bewegung mit der Wurzel der Zeit zunimmt, und proportional der Standardabweichung der einzelnen Zufallsstöße ist. Damit ist $H_{I}=.5$ für Gaußsches weißes Rauschen. Die Berechnung von $D_{j}(Y^{*})$ der integrierten Zeitreihe wird z.T. auch Fluktuationsanalyse genannt ([8]). Die integrierte Zeitreihe selbst heißt zuweilen Profil der Zeitreihe ([18]).
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ich 2000-01-25